Interview mit Jesus.de

Nathanael Ullmann von Jesus.de führte ein Interview mit Geschäftsführerin Anette Bauscher. Titel: „Christen betreiben Frauenhaus für Muslime.“ Hier ein paar Auszüge: Migrantinnen zu helfen, die zwangsverheiratet werden oder unter Gewalt leiden, ist die Berufung von Anette Bauscher. Mit ihrem Verein „Perlenschatz“ gründete sie ein Frauenhaus, das ebenjenen Menschen Obdach gewährt. Doch ihre Vision bleibt nicht ohne Kritik. Ein Interview. Die Fragen stellte Nathanael Ullmann Jesus.de: Hört man, wie Sie auf die Idee von Perlenschatz gekommen sind, klingt das schier unglaublich. Anette Bauscher: Ja. Ich habe zehn Jahre lang bei ERF Medien gearbeitet und danach für Diospi Suyana (Anm. d. Red.: ein soziales Krankenhausprojekt). Nach ein paar Jahren bei diesem tollen Projekt habe ich gebetet, wie es weitergeht. Weil ich das Gefühl hatte, Zeit zu vergeuden, denn die Pionierarbeit war beendet. Gott hat lange nicht reagiert, bis zum Februar 2011. Nach einem erneuten Gebet, ob ich mich selbständig machen oder etwas anderes Soziales machen sollte, stellte Gott mir ein Bild vor mein inneres Auge: ein Frauenhaus, neben dem verschleierte muslimische Frauen stehen. Hatten Sie davor schon mit dem Thema der muslimischen Frauen zu tun? Ich habe vielleicht zwei oder drei Lebensgeschichten von Muslima gelesen. Aber das war für mich bis dahin ein Randthema. Die Berufung war klar. Aber Sie hatten weder ein Haus noch Spender. Wo fängt man da an? Erst einmal habe ich mir eine Auszeit genommen und Studien über Frauenhäuser und deren Finanzierung gelesen. Außerdem habe ich nach dem Erstellen meines Konzeptes Kontakt mit dem Sozialministerium, Kommunen etc. geknüpft und ihnen von meiner Vision erzählt. Und ich habe mit Menschen wie der Pakistani Sabatina James gesprochen, die sich über meine Aktion freuten, weil sie den Bedarf sahen. Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher fragte ich, ob sie bereit wäre, Botschafterin für Perlenschatz zu sein. Und das war sie. 2014 habe ich dann mit 22 Freunden aus ganz Deutschland einen Verein gegründet und mit der Öffentlichkeitsarbeit begonnen. Wie kommen die Frauen denn zu Ihnen? Selten melden sich die Betroffenen selbst bei uns. Häufiger sind es Behörden und Vertrauenspersonen, die Frauen direkt vermitteln oder uns empfehlen. Die eigene Familie zu verlassen, das ist allerdings ein riesiger Schritt. Die Sehnsucht nach den Eltern bleibt ein Leben lang. Und viele der Frauen wissen: Wenn sie gehen, müssen sie um ihr Leben fürchten. Oft holen Sie die Frauen selber ab. Ist das nicht unglaublich gefährlich? Das wird natürlich genau geplant. Die Frauen wissen in der Regel, wann und wie lange der Mann unterwegs ist. Dann haben sie nur ein paar Tage oder Stunden, um ausziehen. Mit allen Konsequenzen. Den genauen Ort Ihres Frauenhauses verraten Sie aus Sicherheitsgründen niemanden. Reicht das an Sicherheit aus? Vor oder spätestens nach ihrer Ankunft bei uns müssen die Frauen ihr Smartphone abgeben. Sie kriegen dann ein Ersatzhandy ohne GPS, wobei auch die nicht internetfähigen Handys zwischenzeitlich leicht geortet werden können. Da geht es um den Schutz der Frauen und der Mitarbeiter. Natürlich beten wir um Schutz und werden auch beim Haus noch Sicherheitsmaßnahmen umsetzen. Tatsächlich waren wir aber noch nicht ernsthaft in Gefahr. Mal abgesehen davon, dass uns einmal ein Mann gedroht hat, das Haus anzustecken. Notfalls kämen die Frauen in ein Opferschutzprogramm. Sie betonen, dass muslimische Frauen das Leben in der Großfamilie eher gewohnt sind. Was sind noch die Unterschiede zu einem regulären Frauenhaus? Wichtig ist, die muslimischen Frauen an die Hand zu nehmen und individuell zu schauen: Was brauchen sie? Deutsche Frauen sind viel individualistischer erzogen als Frauen aus orientalischen Kulturen. In unserer Wohngemeinschaft mit Hauseltern werden die Frauen in familienähnlichen Strukturen aufgefangen, wir geben ihnen Integrationshilfe, kümmern uns intensiv um sie etc. Die Frauen sind im Frauenhaus. Wie geht es dann weiter? Unser Ziel ist es, den Selbstwert der Frauen zu stärken, ihnen Wertschätzung und Liebe entgegenzubringen und sie so selbstständig wie möglich zu machen. Sie können so lange bei uns bleiben, bis sie sich zutrauen, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Manchmal gehen die Frauen nach ihrer Zeit im Frauenhaus auch in eine Übergangs-WG. Den jungen Mädchen machen wir Mut, die Schule fertig zu machen. Für die Selbstständigkeit brauchen die Migrantinnen oder Flüchtlingsfrauen viel Zeit. In ihrem alten Leben ist ihnen außerhalb ihres Haushalts ja alles vorgegeben worden. Haben Sie positive Erlebnisse, über die Sie berichten können? Ermutigungen gibt es immer wieder. Zum Beispiel wurde mir eine Frau nach Hause gebracht. Völlig fertig und resigniert. Am dritten Tag sagte sie: „Jetzt habe ich zum ersten Mal wieder Hoffnung.“ Oder: „Ich sehe, dass Gott mit Dir ist und mich zu Dir geführt hat.“ Ein andermal rief ein Polizist bei uns an. Als ich die Frau nach zweistündiger Fahrt bei ihm abholte, sagte er: „Ich habe über 14 Frauenhäuser angerufen.“ Ich fragte, ob alle anderen keinen Platz gehabt hätten, aber er sagte: „Das schon, aber die erste Frage war immer die nach der Finanzierung. Sie waren die einzige, die diese Frage nicht gestellt hat.“ Reguläre Frauenhäuser dürfen meist keine Frauen aufnehmen, bei denen die Finanzierung nicht gesichert ist. Deshalb können sie oft nicht handeln, wenn es schnell gehen muss. Dann werden wir empfohlen. Was brauchen Sie aktuell noch? Wir suchen noch eine erfahrene Sozialarbeiterin, eine Erzieherin und einen Hausmeister. Die Erzieherin und der Hausmeister müssen sich aber über einen eigenen Freundeskreis finanzieren. Wir erhalten keine öffentlichen Gelder und die Spenden kommen nicht so schnell oder nicht in der Höhe, wie wir uns das wünschen. Unser Frauenhaus verschlingt jährlich mit Personal etwa 300.000 Euro. Und die haben wir nicht. Gott sei Dank legt Gott Perlenschatz Einzelnen stark ans Herz, aber es sind noch zu wenige. Vor allem Förderer, also Freunde, die sich verbindlich mit einem festen monatlichen Betrag hinter uns stellen, mit dem wir planen können. Wir bräuchten auch Männerteams aus Gemeinden, die bereit sind, für ein verlängertes Wochenende bei einem von drei Arbeitseinsätzen im Jahr zu helfen. Wir suchen zudem nach mehr Dolmetschern, die auch tagsüber zu erreichen sind. Einen eigenen Juristen für den Verein wünschen wir uns auch. Im Optimalfall jemand, der sowohl im Asyl- als auch im Familienrecht bewandert ist. Und die rund 400 Beter, ohne die gar nichts läuft, können noch mehr werden. Deshalb freuen wir uns, Einladungen in Gemeinden zu erhalten, um unsere Vision dort vorzustellen.